Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Nordwest-Deutschland – so hieß sie seit ihrer Gründung – am 29. September 1967 wurde der Kernphysiker Prof. Dr. Erich Bagge zum neuen Vorsitzenden gewählt. Es war eine etwas kuriose Wahl, denn Bagge war zu der Zeit kein Mitglied der Gesellschaft und hatte auch sonst keine Kontakte mit der DJG. Durch seine Forschungen und als Kernphysiker mit internationalem Ruf hatte er natürlich Verbindungen zu Japan und war auch schon mehrfach dort gewesen.
Der Rektor der Christian-Albrechts-Universität Kiel Prof. Dr. W. Bargmann gehörte zu den Gründern und Förderern der DJG und bat Bagge, die in eine Schieflage geratene DJG zu konsolidieren und zu sanieren. Bagge mochte sich dieser Bitte nicht entziehen, allerdings mit der Bedingung, den Vorsitz nur für die Zeit der Konsolidierung zu übernehmen, und er dachte an zwei Jahre.
Über den Lebensweg und die Lebensleistung von Erich Bagge soll an dieser Stelle nicht viel gesagt werden. Er wurde am 30. Mai 1912 in Neustadt bei Coburg geboren. Nach der Schulzeit studierte er Physik in Berlin und München und arbeitete seit 1937 bei dem Nobelpreisträger Werner Heisenberg in Leipzig. Im zweiten Weltkrieg arbeitete er mit anderen Wissenschaftlern an dem deutschen Uranprojekt und wurde nach Kriegsende mit neun Atomphysikern in England interniert. Über die Universität Hamburg kam Bagge 1957 nach Kiel und wurde Direktor des neu geschaffenen „Instituts für Reine und Angewandte Kernphysik“. Bereits 1956 war er Mitbegründer der Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt (GKSS) und wirkte maßgeblich beim Bau des ersten deutschen mit Atomkraft getriebenen Schiffes „Otto Hahn“ mit, das 1962 in Kiel vom Stapel lief.
Obwohl Bagge durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und seine Lehrtätigkeit stark in Anspruch genommen war, litt darunter sein Engagement für die Deutsch-Japanische Gesellschaft keineswegs. Es wurde umgehend eine neue Satzung erarbeitet, der Name der Gesellschaft in „Deutsch-Japanische Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V.“ geändert, und in zwei Jahren war die erneuerte DJG saniert. Bagge trat allerdings als Vorsitzender nicht ab, sondern ließ sich zu einer weiteren Kandidatur überreden, ein Ausdruck seines tiefen Gefühls für Harmonie und kollegiale Zusammenarbeit. So waren z.B. die Adventsfeiern im „Hause Bagge“ Höhepunkte und die best besuchten Veranstaltungen. Aber darüber hinaus bot Bagge den Kielern und Schleswig-Holsteinern ein vielseitiges Programm an mit zahlreichen Höhepunkten.
Im Jahr 1978 wurde ein japanischer Sprachkurs ins Leben gerufen, die fast regelmäßigen Regattabegleitfahrten zur Kieler Woche zogen nicht nur Mitglieder und Gäste aus Schleswig-Holstein an.
Zur Kieler Woche 1982 kam der japanische Botschafter Hiromichi Miyazaki nach Kiel und machte einen Besuch im Kieler Rathaus (Bild von links Oberbürgermeister Luckhardt, Prof. Bagge, Botschafter Miyazaki, Dezernent Möller). Der persönliche Höhepunkt für Bagge war die Verleihung des kaiserlichen „Ordens der Aufgehenden Sonne“ am 30. November 1982 durch Generalkonsul Yasushi Kurokochi (Bild oben links). Weitere Höhepunkte waren die Besuche japanischer Ausbildungsschiffe mit jeweils Hunderten von Kadetten in den Jahren 1970, 1979 und 1983, an denen sich die DJG im Rahmenprogramm aktiv beteiligte.
Während der Kieler Woche 1983 gastierte der japanische Männergesangsverein „Tokyo Liedertafel“ in Kiel und sang im und vor dem Rathaus japanische und deutsche Volkslieder (im Bild mit ihren Frauen). Übrigens war der Gesangsverein im Jahr 2007 als Gast des „Chor Kronshagen“ erneut in Kiel.
Mit der Emeritierung von Bagge im Jahr 1980 zeichnete sich ein Wechsel im Vorstand der DJG ab. Einige Jahre durfte Bagge sein Büro in „seinem“ Institut noch nutzen, aber 1983 sollte der Lehrstuhl für Reine und Angewandte Physik neu besetzt werden, und dann musste Bagge sein Büro, das der Mittelpunkt der DJG war, endgültig räumen. Auf der Mitgliederversammlung im Oktober 1982 wurde der Regierungsvolkswirtschaftsdirektor und Landesbeamte im Kieler Wirtschaftsministerium Dr. Peter Janocha zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, und auf der Mitgliederversammlung am 21. März 1984 vollzog sich dann der Wechsel: Janocha wurde zum ersten Vorsitzenden und Bagge zum zweiten Vorsitzenden gewählt. Für Einzelheiten während der „Amtszeit“ von Bagge vgl. Peter Janocha, 50 Jahre Deutsch-Japanische Gesellschaft Schleswig-Holstein 1955 bis 2005.
Aus den von Bagge ursprünglich geplanten zwei Jahren als Vorsitzender der DJG sind letztlich fast 17 Jahre geworden, und es ist sein Verdienst, dass die DJG die bedrohliche Krise Mitte der 1960er Jahre überlebt hatte und zu einem festen Bestandteil des Kieler kulturellen Lebens geworden war. Erstaunlich ist allerdings, dass über seine persönlichen und direkten Kontakte zu Japan so gut wie nichts bekannt geworden ist. Während seiner Amtszeit hat er nur einen Vortrag vor der DJG gehalten, Ende 1982 über die Kernenergie und ergänzende Energiequellen. Natürlich war er ein international anerkannter Kernphysiker und soll auch bei der Planung des ersten japanischen mit Atomkraft getriebenen Schiffes „Mutsu“, das 1969 vom Stapel lief, zumindest beratend mitgewirkt haben. Aber er hat offensichtlich darauf geachtet, seine beruflichen und wissenschaftlichen Berührungen mit Japan von dem Ehrenamt als Vorsitzender der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Schleswig-Holstein sorgfältig zu trennen. Aber vielleicht liegt ein Teil der Erklärung auch in der Tatsache, dass er seine Verbindungen zu Japan wohl selbst hätte aufschreiben müssen, und da standen ihm wohl seine menschliche Bescheidenheit und seine berufliche Überbelastung im Wege. Die Tatsache, dass ihm der japanische Kaiser einen hohen Orden verliehen hat, ist Beweis genug für die Anerkennung seiner Leistungen auch in Japan.
Bagge arbeitete und forschte nach seiner Emeritierung und nach Räumung des Büros in „seinem“ Institut unermüdlich weiter. Er starb am 5. Juni 1996 im Alter von 84 Jahren in Kiel.