Georg Kerst

Georg Kerst wurde am 11. September 1895 in Hannover geboren. Nach der Schulausbildung studierte er Zeitungswissenschaften und Geschichte in Köl und Freiburg, in einem Nebenfach auch Japanologie. Schon während der Studienzeit in Köln begann er mit der Erforschung der deutsch-japanischen Beziehungen nach den Materialien in den Archiven der Kölner Zeitung. In Köln gründete er auch einen Kreis der „Freunde Japans“, der später in eine Zweigstelle der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Berlin umgewandelt wurde; Kerst wurde ihr erster Geschäftsführer. Nach dem Krieg und nach Tod bzw. Auswanderung seiner beiden Kölner Mentoren Martin Spahn und Oskar Kressler fand er 1946 in Prof. Otto Becker (s. weiter oben) an der Universität Kiel einen neuen Mentor, bei dem er im Jahr 1953 seine Dissertation mit dem Thema Die Anfänge der Erschließung Japans im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik fertigstellen konnte. Eine Anstellung an der Kieler Universität erhielt er allerdings nicht, und so verdiente er seinen Lebensunterhalt als freiberuflicher Historiker mit dem Schwerpunkt Japan.

Am 7. Februar 1955 gastierte im Kieler Stadttheater das japanische Ballett Yosho Aoyama, die erste Berührung der Bevölkerung mit Japan und mit einer Form japanischer Kultur. Die Aufführung wurde mit überschwänglicher Begeisterung aufgenommen. Am gleichen Abend traf sich auf Einladung von Kerst ein kleiner Kreis prominenter Kieler in einem Kieler Restaurant und hob die Deutsch-Japanische Gesellschaft Schleswig-Holstein aus der Taufe. Zu ihnen bzw. zu den Befürwortern einer Vereinsgründung gehörten z.B. der Rektor der Kieler Universität, der Direktor der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Kiel, der Verleger der Zeitung Kieler Nachrichten und Vertreter des Stadttheaters, der Kirche und natürlich der Bundesmarine. Kerst nutzte den guten Start, um die junge Gesellschaft durch ein Netzwerk von Gremien mit Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben möglichst breit und vielseitig zu verankern, und so schuf er

  • ein Ehrenpräsidium, Vorsitz Admiral a.D. Gottfried Hansen
  • einen Beirat, Vorsitz Admiral Otto Kähler
  • ein Kuratorium, Vorsitz Prof. Dr. Adolf Remane
  • einen Förderkreis, Vorsitz Konsul Thomas Entz

Außerdem gelang es Kerst in kurzer Zeit, mit den Deutsch-Japanischen Studien ein publizistisches Forum zu schaffen, das durch Sponsoren finanziell abgesichert wurde. Allerdings erschienen nur drei Ausgaben dieser Schriftenreihe, sie wurde nach Heft 3 1962 wegen ausbleibender Zuschüsse eingestellt.

Auf einer Mitgliederversammlung am 24. Oktober 1956 wurde ein Vorstand gewählt, mit Dr. Georg Kerst als ersten Vorsitzenden und dem jeweiligen japanischen Generalkonsul in Hamburg als seinen Stellvertreter. Außerdem wurde eine Satzung verabschiedet und dem Amtsgericht Kiel zugeleitet; am 8. Februar 1957 wurde die Gesellschaft mit dem kurzfristig geänderten Namen „Deutsch-Japanische Gesellschaft Nord-Westdeutschland“ ins Vereinsregister eingetragen.

Dank seiner inzwischen doch recht vielseitigen Beziehungen zu Persönlichkeiten im beginnenden deutsch-japanischen Kulturaustausch konnte Kerst ein abwechslungsreiches Programm mit dem Motto „Wie ist Japan?“ zusammenstellen, und viele Kieler wollten gern die Antworten hören.

Inzwischen war die Kenntnis von der neuen DJG in Deutschland mit ihrem Vorsitzenden auch nach Japan gelangt. Im September 1958 erhielt Kerst eine Einladung von der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Osaka zu einem Besuch mit Vorträgen; offenbar aus finanziellen Gründen musste er die Einladung ablehnen. Im Dezember 1963 erreichte ihn eine zweite Einladung aus Japan, dieses Mal von einer Universität in Tokyo, an der der in Kiel gut bekannte japanische Germanist Prof. Eichi Kikuchi lehrte. Anfang März 1964 trat Kerst diese Reise mit dem Schiff an und kam im Mai in Yokohama an. Er hielt zahlreiche Vorträge an Universitäten in Tokyo und wurde auch zu Vorträgen nach Kobe, Hiroshima, Nagasaki und Miyazaki eingeladen. Außerdem hatte er noch Zeit zu Besuchen in Kyoto, Nara, Nikko und in anderen Städten. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt kehrte Kerst im August nach Deutschland zurück. Die Finanzierug des Besuchs hat zum überwiegenden Teil das japanische Außenministerium übernommen. Am 10. März 1969, also nach seinem Abschied als Vorsitzender der DJG, wurde Kerst in der Residenz des japanischen Botschafters Fujio Uchida in Bonn der kaiserliche „Orden vom heiligen Schatz“ verliehen (s. Foto), und im Jahr 1976 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Das Veranstaltungsprogramm hatte zahlreiche Höhepunkte, aber die wohl wichtigste Veranstaltung war der erste japanische Flottenbesuch vom 18. bis 20. September 1963. Vier japanische Ausbildungsschiffe kamen mit Hunderten von Kadetten für einen dreitägigen Besuch nach Kiel, und die Bevölkerung nahm an dieser „friedlichen Invasion“ regen Anteil, und die DJG beteiligte sich aktiv an der Gestaltung des Besuchsprogramms.

Im Jahr 1967 sah sich Kerst genötigt, den Vorsitz der Gesellschaft aufzugeben; er war 72 Jahre alt. Auslöser war die Tatsache, dass er neben dem Vorsitz auch die Geschäftsführung übernommen hatte und zunehmend Vereinsangelegenheiten mit seinem Privatleben vermischte. Bei den Vorstandswahlen auf der Mitgliederversammlung am 29. September 1967 trat er nicht mehr an; als sein Nachfolger wurde Prof. Dr. Erich Bagge gewählt. Im Jahr 1980 hatte die DJG 25jähriges Bestehen und Kerst am 11. September 85jährigen Geburtstag, und beide Ereignisse sollten am 21. November gemeinsam festlich begangen werden. Kerst konnte das Jubiläum „seiner“ Gesellschaft nicht mehr miterleben, er starb am 7. November 1980 in einem Altersheim.

Kerst hat während seiner Kieler Zeit zweifellos viel für die Wiederbelebung der kulturellen Beziehungen zwischen Japan und Norddeutschland und Schleswig-Holstein getan. Insofern hat er „Fußabdrücke“ in Japan hinterlassen, die auch durch die Verleihung des kaiserlichen Ordens gewürdigt worden. Sein Verdienst für Schleswig-Holstein und Kiel sollte aber wohl höher eingeschätzt werden. Ihm ist zu verdanken, dass die Menschen hier, die nach dem verlorenen Krieg wahrscheinlich von Japan nicht viel mehr kannten als Hiroshima und Nagasaki, Kamikaze und Harakiri, an die Menschen in Japan, an ihre Kunst und Kultur und an ihre Gedanken und Lebensgewohnheiten herangeführt wurden.

Für Einzelheiten über Kerst und über das Geschehen in der DJG in den ersten zwölf Jahren unter der Führung von Dr. Georg Kerst vgl. Peter Janocha, 50 Jahre Deutsch-Japanische Gesellschaft Schleswig-Holstein 1955 bis 2005.